Karin Hermes - Zeitgenössischer Tanz

Tanzerbe re-interpretieren. Zwischen Choreographischer Praxis und Notationstheorie

Im Zuge postmoderner Tanzformen erfuhr der künstlerische Tanz vielfältige und dynamische Ausprägungen. Tanzkunstschaffende wie Kurt Jooss (1901-1979) und Sigurd Leeder (1902-1981) stehen stellvertretend für den Aufbruch in die Moderne, denn sie schufen Verbindungen zwischen Werk und Person, zwischen Choreografie und Pädagogik, zwischen Analyse und Kreativität, zwischen Tanzpraxis und -theorie. Die Konfrontation mit ihren Werken fordert dazu heraus, dass wir uns den Fragen ihrer Interpretation aus heutiger Perspektive stellen und praxeologische Methoden miteinbeziehen. Letztere spiegeln ein Tanz- und Performanceverständnis, das die Diversität verschiedener Interpretations-Ansätze konzeptionell integriert. Denn Choreografien aus anderen Epochen, Kulturen oder Trainingskonditionierungen stellen uns vor Fragen der Interpretationsfreiheit und öffnen Gestaltungsspielräume.

Diese Fragen untersuche ich in meiner künstlerischen Forschung. Im ersten Teil meines Forschungsprojektes setze ich mich mit der Tanzpartitur Danse macabre (1935), Choreografie von Sigurd Leeder, auseinander. Im Dialog mit dieser Tanzpartitur choreografiere ich Fünf Versuche des Tanzes mit dem Tod. Anschliessend notiere ich meine Choreografie anhand der Kinetographie Laban, unter Einbezug digitaler Notationsoptionen.

Aussen eins, innen unzählig. Der Granatapfel und die Transformation ist der Arbeitstitel des zweiten Teils meiner künstlerischen Forschung. Hier fokussiere ich auf unterschiedliche Notationen von Pavane auf den Tod einer Infantin (1929), Choreografie von Kurt Jooss. Meine Leitfrage ist: Welche Freiräume fordere ich ein, wenn Notationszeichen in die tänzerische Re-Interpretation übertragen werden und dies voraussetzt, dass der gegenwärtige Kontext integriert wird?

Erstbetreuerin: Prof.in Rose Breuss, ABPU;
Zweitbetreuerin: Dr.in Annette Kappeler, Hochschule der Künste Bern HKB

Biografie

Karin Hermes wuchs in Zürich auf und absolvierte die Ballettakademie Zürich (Leitung: Herta Bamert). Als Bühnentänzerin arbeitete sie im Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich und in freien Ensembles. Nach Jahren professionellen Tanzschaffens absolvierte sie das Studium der Tanzpädagogik am Institut für Bühnentanz der Musikhochschule Köln. Anschließend studierte sie am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris und schloss den Cycle de perfectionnement der Bewegungsanalyse und -notation (System Laban), Schwerpunkt Rekonstruktion, mit Auszeichnung ab. Seither forscht Karin Hermes an den Schnittstellen zwischen Tanzpraxis und -theorie und setzt sich mit Methoden der Interpretation historischer Tanzwerke auseinander, unter anderem am The Place in London, Ballet du Rhin, Cité de la Musique Paris und Centre National de la Danse (CND) in Pantin, Paris. Ihre Choreografie Betwixt and Between, dialog with Rooms by Anna Sokolow wurde 2008 am CND uraufgeführt und im Film Tanzrebellen von Ralph Ströhle für ARTE aufgezeichnet. Von 2011-2015 leitete sie den Forschungsausschuss des International Council of Kinetographie Laban.

2007 gründete Karin Hermes ihr Ensemble hermesdance und performte in Frankreich, England, Brasilien, Israel, Deutschland und der Schweiz. Sie setzte sich stets für die Tanzvermittlung ein und realisierte unzählige Projekte mit Kindern und Jugendlichen. Seit 2022 ist sie im Team der Pestalozzi Schulcamps. Sie erhielt 2017 den Kulturvermittlungspreis des Kantons Bern und wurde 2015 und 2019 mit zwei Schweizer Tanzpreisen, Kulturerbe Tanz, ausgezeichnet.

Karin Hermes ist aktuell Co-Leiterin von hermesdance, Dozentin an der Hochschule der Künste Bern für Tanzpraxis, -theorie, Werkanalyse, Fachdidaktik und Tanzvermittlerin beim Bern Ballett der Bühnen Bern.